SONNTAG, 16.35 UHR

Kaum dass sie ihr Büro betreten hatten, wurden Henning und Santos von Volker Harms und Oberstaatsanwalt Rüter empfangen, als hätten sie auf das unschlagbare Duo, wie sie von manchen Kollegen augenzwinkernd genannt wurden, nur gewartet.

»Welch hoher Besuch!« Diese Bemerkung konnte sich Henning nicht verkneifen, gab es doch kaum jemanden, dem er so wenig Sympathie entgegenbrachte wie Rüter, der vor zwei Jahren Oberstaatsanwalt Sturm abgelöst hatte, nachdem man in dessen Büro und bei ihm zu Hause Kokain und Kinderpornos auf den Rechnern gefunden hatte und er deswegen nicht nur seinen Posten hatte räumen müssen, sondern auch noch zu einer Bewährungsstrafe und einer hohen Geldbuße verurteilt worden war. Auch wenn Henning Sturms Nachfolger auf den Tod nicht ausstehen konnte, reichte er ihm die Hand. »Und dann auch noch an einem Sonntag.« Mit einem leicht süffisanten Lächeln konterte Rüter: »Tja, Herr Henning, auch ein Oberstaatsanwalt muss in dringenden Fällen den Sonntag Sonntag sein lassen. Wir sind nicht nur Sesselfurzer, wie Sie uns gerne unterstellen. Aber lassen wir doch dieses unnötige Geplänkel, sondern berichten Sie lieber Herrn Harms und mir, was Sie bisher herausgefunden haben. Am besten setzen wir uns dazu hin, ich war nämlich heute Morgen bereits zwei Stunden joggen, danach bin ich eine Runde im Pool geschwommen, und anschließend habe ich mir noch eine Sauna gegönnt, ich bin ziemlich erschossen.« »Das ist Bruhns auch, sogar noch etwas erschossener, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, entgegnete Santos, die Rüters arrogantes Auftreten kaum ertrug. Ihr war es vollkommen gleichgültig, wie sportlich Rüter war, besonders nach den Stunden, die sie und Henning hinter sich hatten.

»Frau Santos, Frau Santos, Ihre Schlagfertigkeit ist umwerfend. Aber bitte, jetzt nehmen Sie doch Platz!« Rüter deutete auf die Stühle in dem Konferenzzimmer, in dem es spätestens morgen von Beamten bei der Einsatzbesprechung nur so wimmeln würde. Ein großer Fall, einer der größten überhaupt, auch wenn sie es schon einmal mit einem Serienmörder zu tun gehabt hatten, der als einer der schlimmsten seiner Art in die Kriminalgeschichte eingegangen war. Aber bei Bruhns lag die Sache anders, er war eine Person des öffentlichen Lebens und genoss somit einen elitären Status, der selbst nach dem Tod erhalten blieb. Aus diesem Grund stand auch der Oberstaatsanwalt auf der Matte, der die Ermittlungen persönlich leiten und überwachen würde, was Rüter in den knapp zwei Jahren, die er im Amt war, noch nie getan hatte. Henning und Santos ahnten, was ihnen bevorstand. Ständige Fragen nach dem Stand der Dinge und die Aufforderung, dass es mit den Ermittlungen doch bitte etwas schneller vorangehen solle ...

»Was können Sie bis jetzt sagen?«, fragte Rüter, nachdem sie Platz genommen hatten.

»Wir wurden vor knapp fünf Stunden an einen Tatort gerufen, die Spusi dürfte noch vor Ort sein, Professor Jürgens macht sich gerade über die Toten her, wir waren bei Frau Bruhns und ...«

»Alles schön und gut«, wurde er von Rüter mit einer Handbewegung unterbrochen. »Ich möchte Ihren persönlichen Eindruck hören. Was halten Sie von der Sache?«

»Ich halte gar nichts davon, solange ich keinen Anhaltspunkt habe. Fakt ist, dass die Leichen in einer skurrilen Weise aufgebahrt waren. Sind die Fotos schon da?« Harms nickte. »In meinem Büro«, antwortete er kurz angebunden, es ging ihm sichtlich gegen den Strich, Rüter schon jetzt im Nacken zu haben.

»Wenn Sie die Fotos gesehen haben, brauche ich Ihnen ja nicht mehr viel über den Tatort zu erzählen«, sagte Henning, während er die Beine übereinanderschlug und die Hände hinter dem Nacken verschränkte. »Ich möchte trotzdem aus Ihrem Mund hören, wie Sie die Sache sehen. Oder ist das zu viel verlangt?« »Es ist zu viel verlangt, weil wir die Sache, wie Sie es nennen, noch gar nicht sehen«, antwortete Henning mit einem leicht aggressiven Unterton, beugte sich vor, faltete die Hände und sah den Oberstaatsanwalt herausfordernd an, ein Blick, dem dieser mühelos standhielt. »Wir haben noch nicht den geringsten Anhaltspunkt, wer der Täter sein könnte, wir wissen nicht, in welchem Umfeld er zu suchen ist, wir wissen nicht, ob es einer oder zwei oder gar mehrere waren, wir wissen nicht, ob Bruhns seinen oder seine Mörder kannte, wir haben bis jetzt nur zwei Leichen, einen Tatort und die Aussage seiner Frau. Wir müssen ihr Alibi noch überprüfen, möchten aber fast ausschließen, dass sie mit dem Mord etwas zu tun hat. Und wir wissen nicht, was Bruhns gestern Abend getan hat, nachdem er aus Hamburg zurückgekommen ist ...«

»Was meinen Sie damit?«, wurde er von Rüter unterbrochen. »Was hat er in Hamburg gemacht?« Henning lehnte sich zurück. »Er hatte eine Livesendung, die laut Aussage eines Beamten, der einer der Ersten vor Ort war, bis etwa halb zehn dauerte ...« »Etwa halb zehn? Was sagt Frau Bruhns denn?« »Sie hat die Sendung nicht gesehen, wie sie uns versicherte. Darf ich fortfahren?« »Bitte.«

»Danach scheint er sich gleich verabschiedet, in seinen Hubschrauber gesetzt zu haben und nach Schönberg gedüst zu sein oder besser nach Holtenau und von dort mit dem Wagen nach Schönberg. Davon gehen wir jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt aus ...« »Woraus schließen Sie das?«

»Aus der Untersuchung, die Professor Jürgens am Tatort durchgeführt hat. Demzufolge wurden Bruhns und seine junge Begleiterin zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens getötet. Kann natürlich auch sein, dass er vorher noch woanders war, das halte ich jedoch für eher unwahrscheinlich. Geben Sie uns ein paar Stunden, dann wissen wir sicher mehr. Wie gesagt, wir haben zwei Tote vorgefunden, aber keinen Abschiedsbrief oder sonst etwas, was uns in irgendeiner Form einen Hinweis geben könnte, dass es sich nicht um Mord handelt, auch wenn Professor Jürgens Schmauchspuren an Bruhns' Hand gefunden hat. Geben Sie uns doch freundlicherweise die Gelegenheit, erst einmal die Dinge zu analysieren.«

»Moment, nicht so schnell. Was heißt das, Schmauchspuren an Bruhns' Hand?«

»Fragen Sie Professor Jürgens, er hat das noch am Tatort festgestellt. Uns gegenüber hat er angedeutet, dass er die Schmauchspuren für inszeniert hält, so wie der ganze Tatort eine einzige große Inszenierung ist, wie auf den Fotos unschwer zu erkennen ist. Da hat jemand ganze Arbeit geleistet, und es scheint ihm eine diebische Freude bereitet zu haben, das alles so herzurichten.« »Herr Henning, Sie und ich wissen, dass Bruhns nicht irgendwer war, sondern eine der bekanntesten Persönlichkeiten Deutschlands. Fragen Sie irgendjemanden da draußen, wer unser Außenminister ist, die meisten werden es Ihnen nicht sagen können, weil es sie nicht interessiert oder weil sie Steinmeier und Steinbrück verwechseln. Aber fragen Sie nach Bruhns, jeder kennt ihn, die letzten Umfragen haben gezeigt, dass über neunzig Prozent aller Deutschen ihn kennen. Ob man ihn mag oder nicht, tut dabei nichts zur Sache. Es geht darum, schnellstmöglich den Täter zu finden und ihn der interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.«

»Frau Santos und ich werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Fall so schnell wie möglich aufzuklären, aber Sie müssen uns schon die Gelegenheit geben, in Ruhe zu arbeiten.«

»Selbstverständlich.« Rüter zupfte an seiner Krawatte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und da war wieder für den Bruchteil einer Sekunde dieses süffisantarrogante Lächeln. »Und zwar genau eine Woche lang. In einer Woche will ich wissen, wer hinter dieser Wahnsinnstat steckt, oder zumindest, wer in die engere Wahl gekommen ist. Wie ich gegenüber Herrn Harms bereits betonte, soll es Ihnen an Personal nicht mangeln. Bilden Sie noch heute die Soko Bruhns, dreißig Mann sollten fürs Erste ausreichen.«

Henning atmete dreimal langsam ein und wieder aus, um nicht die Beherrschung zu verlieren, danach sagte er so ruhig, wie es ihm möglich war: »Herr Rüter, wir sind hier nicht im Variete, sondern bei der Polizei. Wir zaubern keine Kaninchen aus dem Hut, und schon gar keine Mörder ...«

»Von Zaubern hat auch keiner gesprochen, ich rede von gezielten Ermittlungen. Bruhns hatte eine Menge Feinde, wobei ich davon ausgehe, dass er sich einen dieser Feinde erst kürzlich geschaffen hat.«

Henning lachte auf, schüttelte den Kopf und sprang auf. »Verzeihen Sie, Herr Rüter, aber ob es sich um einen Feind handelt, den er schon lange oder erst seit kurzem hatte, ist hypothetisch, und wir wollen uns doch nicht auf Hypothesen stützen, sondern Fakten schaffen. Es kann sich genauso gut um jemanden handeln, der seit langem nur auf die Gelegenheit gewartet hat, die sich ihm letzte Nacht dann bot. Außerdem haben wir von Frau Bruhns eine Liste mit sieben Namen erhalten, die wir schnellstmöglich überprüfen werden, angeblich alles Leute, die nicht gut auf Bruhns zu sprechen waren. Vielleicht finden wir ja schon dort den Täter oder den Auftraggeber, denn es kann sich genauso gut um einen Auftragsmord gehandelt haben.« »Nun, ich will Ihnen nicht vorschreiben, wie Sie zu ermitteln haben, es ist mir auch ziemlich gleich, ich will lediglich einen Erfolg vorweisen können. Ich darf Sie daran erinnern, die meisten Ermittlungen beginnen mit Spekulationen, Theorien und Hypothesen. Allmählich wird sich dann ein Muster herausbilden, aus Hypothesen werden Fakten, und irgendwann hat man den Täter am Haken.«

»Warum setzen Sie uns so unter Druck? Sie wissen selbst, dass in unserem Beruf nichts schädlicher ist als Druck, weil dann die meisten Fehler gemacht werden ...« »Wir werden unser Bestes tun, Herr Rüter«, meldete sich nun erstmals Harms zu Wort, der merkte, wie es in Henning brodelte, und verhindern wollte, dass sein bester Mann etwas Unbedachtes von sich gab. Auch Santos' Gesicht drückte Wut, aber auch Besorgnis aus, denn dass Rüter innerhalb von sieben Tagen einen Täter forderte, war äußerst ungewöhnlich. Sie hatten in ihrer Abteilung noch nie ein Ultimatum seitens der Staatsanwaltschaft gesetzt bekommen. Harms war ratlos, gab sich nach außen jedoch gelassen und bedacht, er wollte sich Rüter gegenüber keine Blöße geben. Mehr als dreißig Jahre Diensterfahrung hatten ihn gelehrt, Staatsanwälten keine unnötigen Fragen zu stellen und schon gar nicht provokant aufzutreten.

»Davon gehe ich aus«, antwortete Rüter lapidar. »Dürfte ich nun einen Blick auf die Namensliste werfen?« »Selbstverständlich«, sagte Santos, zog den Zettel aus ihrer Tasche und reichte ihn weiter.

Nachdem Rüter die Namen überflogen hatte, meinte er: »Bis auf einen kenne ich sie alle. Gehen Sie behutsam vor, mit diesen Menschen ist nicht zu spaßen. Zudem verfügt jeder von ihnen über eine Menge Macht, Einfluss und vor allem Geld.« Er betrachtete die Liste erneut und schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass einer von ihnen etwas mit dem Mord zu tun hat. Aber ich lasse mich gerne überraschen. Halten Sie mich also auf dem Laufenden. Noch etwas: Das Beste ist nicht immer gut genug. Ich verlasse mich auf Sie und Ihre Spürnase, Herr Henning, denn dafür sind Sie ja bekannt.«

Rüter erhob sich, strich sein Jackett gerade und wollte sich umdrehen, als Hennings Stimme ihn zurückhielt: »Verraten Sie mir etwas?« »Wenn ich die Antwort kenne.« »Warum diese Eile?«

»Ich dachte, diese Antwort hätte ich Ihnen bereits gegeben. Einen schönen Tag noch.«

»Nein, Sie haben mir die Antwort nicht gegeben. Klar, Bruhns ist vielleicht einer der bekanntesten Männer der Republik. Aber wir werden so lange ermitteln, bis wir den wahren Täter haben. Wenn es statt sieben Tage sieben Wochen oder gar sieben Monate dauert. Gut Ding will Weile haben. Einen Sündenbock zu opfern, der gar nichts getan hat, das kann doch keiner von uns wollen, oder?« Rüter kehrte zurück, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und sah Henning durchdringend an. Er zog die linke Augenbraue hoch und sagte: »Ich weiß nicht, was Sie mir unterstellen wollen, aber Sie sollten Ihre Wortwahl überdenken.«

»Ich unterstelle Ihnen gar nichts, das würde ich mir niemals anmaßen. Aber sieben Tage sind hundertachtundsechzig Stunden, und das für einen Mordfall, in dem es wahrscheinlich Hunderte von Verdächtigen gibt, neben den sieben, die uns Frau Bruhns aufgeschrieben hat.« »Herr Henning, es bleibt dabei, sieben Tage. Sollten Sie bis zum nächsten Sonntagmittag keine brauchbaren Ergebnisse vorweisen können, müssen wir uns etwas anderes überlegen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich denke, ich habe mich klar genug ausgedrückt. Momentan sind Sie der Leiter der Soko Bruhns. Und als solcher genießen Sie mein vollstes Vertrauen.« »Ihr Vertrauen ehrt mich, aber vielleicht haben Sie schon einen Vorschlag, in welcher Richtung wir ermitteln sollen, das würde uns die Arbeit mächtig erleichtern«, konterte Henning, ohne den Sarkasmus in seiner Stimme unterdrücken zu können.

»Für die Ermittlungen sind allein Sie und Ihre Abteilung zuständig. Ich erwarte lediglich, auf dem Laufenden gehalten zu werden und schnellstmöglich Ergebnisse auf den Tisch zu bekommen.«

»Wir werden Sie selbstverständlich informieren, das tun wir doch immer, wenn Sie es verlangen. Aber um keine Zeit zu vergeuden, wäre es vielleicht angebracht, wenn wir gleich an die Arbeit gehen, bis nächsten Sonntag bleiben uns noch hundertachtundsechzig Stunden, aber das habe ich ja eben schon mal betont. Verdammt wenig Zeit.«

»Ich sage Ihnen noch etwas, Herr Henning, und dann ist dieses Gespräch für mich beendet. Auch wenn es zynisch klingen mag, aber wir haben es hier nicht mit Lieschen Müller zu tun, sondern mit Peter Bruhns. Es gibt nun mal Menschen, die auch über den Tod hinaus eine Sonderbehandlung verdient haben. Bruhns gehört dazu, auch wenn ich es selbst nicht gutheiße, das können Sie mir glauben. Doch auch ich bin an Anweisungen gebunden. Ich hoffe, Sie haben mich jetzt verstanden. Herr Harms, könnte ich Sie bitte kurz unter vier Augen sprechen?«, sagte Rüter in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Natürlich, gehen wir in mein Büro.« Als die beiden Männer das Konferenzzimmer verlassen hatten, sagte Henning zu Santos: »Sag mal, was war das denn eben? Bin ich hier im falschen Film? Oder habe ich irgendwas verpasst?«

»Keine Ahnung, aber du hast den werten Herrn Rüter ziemlich verärgert.«

»Ich ihn verärgert? Entschuldige mal, aber der verdammte Mistkerl hat mich verärgert! Oder kommt dir das nicht auch arg spanisch vor, dass wir nur sieben Tage Zeit haben, um ...«

»Mann, hast du nicht gemerkt, dass mir auch fast der Kragen geplatzt ist? Nur ich habe mich im Gegensatz zu dir unter Kontrolle ...«

»Du hast mich wohl noch nicht erlebt, wenn ich mich nicht unter Kontrolle habe, ich ...« »Doch, habe ich. Mensch, Sören, du hättest dich wenigstens ein bisschen zurücknehmen können. Du kennst doch Rüter und seine arrogante Art. Er spielt damit, und du lässt dich auch noch auf das Spiel ein. Ein einfaches Ja, und er wäre zufrieden gewesen. Aber du musst immer gleich Kontra geben. Werd endlich erwachsen!« Henning winkte entnervt ab: »Jetzt auch noch du! Dieser Fachidiot ist gerade mal Ende dreißig und macht hier einen auf großen Macker. Der kennt vielleicht alle Gesetzestexte auswendig, aber von unserer Arbeit versteht der rein gar nichts. Der konnte doch nur schon mit sechsunddreißig Oberstaatsanwalt werden, weil sein Vater im Bundestag sitzt. So einen alten Herrn hätte ich auch mal gern gehabt.«

»Um so zu werden wie Rüter? Dann wären wir beide nicht zusammen, darauf kannst du Gift nehmen. Wir können Rüter nicht leiden, aber wir müssen uns wohl oder übel seinen Anweisungen beugen. Machen wir doch das Beste draus.«

»Was ist denn das Beste? Ich sag's dir - er will einen Täter, und ich habe das dumpfe Gefühl, ihm ist scheißegal, ob es der Richtige ist, Hauptsache, wir können jemanden präsentieren. Es wäre ja nicht das erste Mal in diesem Land, dass jemand für etwas verurteilt wird, was er nicht getan hat. Du brauchst nur den Fall der kleinen Mandy aus der Nähe von Hof in Oberfranken zu nehmen, für den ein geistig Minderbemittelter in den Knast gewandert ist, obwohl man ihre Leiche nie gefunden hat und sich die Hinweise verdichten, dass sie noch am Leben ist. Bei so was spiele ich aber nicht mit ...«

»Nun, in unserem Fall haben wir fraglos eine Leiche, besser gesagt zwei«, wurde Henning von Santos verbessert. »Aber ich weiß, worauf du hinauswillst, und ich vermute auch, dass ihm ein Bauernopfer, auch wenn der Begriff vielleicht nicht ganz passend ist, nicht ungelegen käme. Es wäre zum einen medienwirksam, die Öffentlichkeit hätte wieder Futter, und es könnte seiner Karriere einen weiteren Schub verleihen.«

»Okay, lassen wir das, ich will Rüter nichts unterstellen. Die Angehörigen von Kerstin Steinbauer müssen informiert werden, vielleicht kannst du mal die Kollegen in Düsseldorf ...«

»Hätte ich eh gleich getan. Und weiter?« »Und dann will ich wissen, was Bruhns gestern nach seinem Auftritt gemacht hat. Wann und mit wem er das Studio verlassen hat, wann er in Kiel eingetroffen ist und so weiter. Ich will über jeden Schritt Bescheid wissen, den der werte Herr getan hat. Ich will vor allem wissen, wie er die Kleine kennengelernt hat, ich will wissen, ob die beiden zum ersten Mal allein in seinem Haus waren, ich will wissen, wer seine ärgsten Feinde waren ...« »Jetzt mach mal halblang, okay? Eins nach dem anderen. Was glaubst du, haben Rüter und Harms zu besprechen?«

Henning zuckte die Achseln. »Es geht um mich, um meine Aufsässigkeit und, und, und. Rüter und ich, das funktioniert nicht. Hat es noch nie.«

»Gerade deswegen könntest du hin und wieder auch ein bisschen diplomatischer sein, wenn du mit ihm zu tun hast. Aber du brauchst ihn nur zu sehen, und schon schnaubst du wie ein wild gewordener Stier. Du kennst doch diesen Idioten und den Ruf, der ihm vorauseilt. Du hättest nur schön brav zu allem ja und amen zu sagen brauchen, und schon wäre er zufrieden hier rausstolziert.«

»Nee, Lisa, so einfach ist das nicht. Der kam von Anfang an mit einer Forderung, und das ist nicht normal. Noch nie hat uns ein Staatsanwalt eine Frist für unsere Ermittlungen gesetzt. Noch nie, hörst du! Ich bin wahrlich lange genug im Geschäft und habe mit vielen Staatsanwälten zu tun gehabt. Aber so was ist mir bisher nicht untergekommen. Wir können doch nicht auf Knopfdruck einen Täter präsentieren, wo gibt's denn so was?! Ich mach das nicht mit, mir hat der eine Fehler gereicht, und an dem werde ich noch ewig zu knabbern haben. Soll er sich einen anderen Schwachkopf suchen ...« »Halt doch mal den Ball flach«, versuchte Santos ihn zu besänftigen. »Vielleicht ist es ganz einfach, und wir haben den Täter innerhalb der nächsten paar Stunden. Lass uns wenigstens die sieben Tage nutzen. Wir wollen Rüter doch keinen Triumph gönnen, bevor das Rennen nicht zu Ende ist.«

»Rüter steht ein ganzes Stück über uns, und was er sagt, hat Gewicht. Dieses gottverdammte Arschloch!«, sagte Henning mit einem Hauch Resignation, aber auch Wut in der Stimme. Er hielt kurz inne und fuhr bitter fort: »Er sagt hopp, und wir haben zu springen. Und was tun wir? Wir springen. Und wie wir springen ...« »Stimmt«, fiel ihm Santos ins Wort und machte eine beschwichtigende Geste, »aber denk daran, über ihm gibt es auch welche, die ihm vorschreiben, was er zu tun hat. Es ist ein elendes Spiel innerhalb der Hierarchien, gegen das wir machtlos sind.«

»Das tröstet mich nun aber. Soll ich dir was sagen? Das ist mir so was von egal. Hör zu, wir machen unseren Job, und damit basta. Wenn Rüter meint, der Fall müsse innerhalb einer Woche geklärt sein, und wir schaffen das nicht, sollen sich doch andere den Arsch aufreißen. Er wird schon sehen, was er davon hat.« »Nee, diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun. Auch wenn wir rund um die Uhr arbeiten, wir werden den Kerl finden, der Bruhns und die Kleine umgebracht hat. Es sei denn, du willst kneifen.«

»Quatsch, ich will nicht kneifen, du kennst mich doch. Ich will mich nur nicht dem Diktat eines Oberstaatsanwalts beugen, das ist alles. Wir ermitteln, wir halten ihn auf dem Laufenden, mehr kann er nicht erwarten.« »Na also, geht doch«, sagte Santos und lächelte. »Jetzt mach wieder ein freundliches Gesicht und vergiss Rüter.« Henning erhob sich, stellte sich ans Fenster und sah hinaus auf das triste Kiel. Die Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf, bis die Tür aufging und Harms hereinkam. Henning drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen an der Fensterbank ab.

»Was wollte Rüter?«, fragte Santos, kaum dass Harms die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Nur, dass ich ein Auge auf euch haben soll. Er hat sich über dich beschwert«, sagte er zu Henning. »Er ist der Auffassung, du hättest Probleme mit Autoritäten.« »Oh, jetzt fang ich aber an zu zittern. Wie kommt er denn darauf?«

»Das weißt du selbst ganz genau, aber ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich meine Hand für dich ins Feuer lege. Ich hoffe, ich verbrenne sie mir nicht.«

»Danke, Volker. Und keine Sorge, deine Hand bleibt unversehrt. Aber das mit der Frist...« »Tja, ich habe versucht, ihm klarzumachen, dass das so nicht läuft und wir keine Roboter sind. Leider hat er meine Argumentation nicht akzeptiert oder nicht akzeptieren wollen, aber er war nicht einmal zu einem Kompromiss bereit. Ihr habt sieben Tage und keinen Tag länger. Weiß der Geier, was in seinem Kopf vorgeht. Aber um keine Zeit zu verlieren, sollten wir uns an die Arbeit machen. Ich stelle die Mannschaft zusammen, Rüter hat allerdings auch noch zehn Leute, die er uns zuteilen will, sie werden morgen früh bei der ersten Einsatzbesprechung hier sein.«

»Meinetwegen, je mehr, desto besser. Vielleicht schaffen wir es ja tatsächlich bis zum nächsten Sonntag. Lisa, rufst du in Düsseldorf an?«, fragte Henning. »Hatte ich gleich vor. Ich würde aber gerne persönlich mit den Angehörigen und Freunden der jungen Dame sprechen. Du nicht auch? Ich möchte wissen, ob irgendjemand aus ihrem Umfeld von der Affäre mit Bruhns wusste.«

»Zumindest die engsten Angehörigen werden sowieso hierherkommen müssen, um ihre Tochter, Schwester oder was immer zu identifizieren.«

»Okay, dann sind wir einer Meinung. Vielleicht kriegen wir so raus, wie Bruhns immer wieder an seine jungen Hüpf er geraten ist. Der alte Sack und das Mädchen.« »Ist doch nicht ungewöhnlich«, warf Harms ein. »Schaut euch Berlusconi an, der ist über siebzig und treibt's mit Achtzehnjährigen. Hast du Geld und Macht, kriegst du, was du willst, auch junge Frauen, die alles tun, wenn sie ein winziges Stück vom Kuchen abbekommen und in den Medien erwähnt werden.«

Henning zuckte die Schultern. »Wisst ihr was? Das interessiert mich einen feuchten Dreck. Bruhns interessiert mich eigentlich auch relativ wenig, es geht mir um die Kleine. Warum musste sie dran glauben? Okay, sie hat mit einem älteren Mann gevögelt oder hatte es vor, aber das ist noch längst kein Grund, sie umzulegen, es sei denn, ein eifersüchtiger Freund hat die Morde begangen, was ich aber für ziemlich unwahrscheinlich halte. Wie hätte er denn auf das Grundstück gelangen sollen? Nein, das Motiv liegt woanders. Wir warten noch ab, was die KTU und Jürgens uns zu sagen haben. Für heute reicht's. Es sei denn, euch fällt noch was ein.«

»Wir machen Schluss«, sagte Harms mit Blick auf die Uhr. »Morgen legen wir richtig los. Ach ja, bevor ich's vergesse, Rüter wird heute um sieben eine Pressekonferenz abhalten. Er meint, die Öffentlichkeit hat das Recht, zu erfahren, was mit Bruhns passiert ist.« »Ja, ja, die Öffentlichkeit«, sagte Henning mit einem hämischen Lächeln. »Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir: Starproduzent Peter Bruhns kaltblütig ermordet. Oder so ähnlich. Ich könnte kotzen!« »Du weißt ja, wo die Toiletten sind«, bemerkte Harms emotionslos. »Halt dich zurück, wir sind nur die Ermittler und damit jederzeit austauschbar. Kapiert?« »Kapiert, Boss. Ich will mir noch mal die Fotos ansehen. Ich habe zwar vorhin schon versucht, mir ein Bild zu machen, aber irgendwas am Tatort hat mich gestört, ohne dass ich sagen könnte, was. Lisa, was haben wir übersehen?« Sie dachte eine Weile nach. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

Henning setzte sich auf die Tischkante und sagte: »Schau mal, das Grundstück in Schönberg ist zwar nicht ganz so massiv gesichert wie das in Kiel, aber es ist für einen Einbrecher trotzdem ziemlich schwer, dort reinzukommen. Da wir einen erweiterten Suizid so gut wie ausschließen können, bedeutet das doch, dass irgendjemand Zutritt zum Haus gehabt haben muss, den Bruhns kannte. Jemand, dem Bruhns vertraute, dem er nie etwas Böses unterstellt hätte. Ein Freund, der am Ende gar nichts Freundliches im Sinn hatte. Oder jemand, der sich über einen längeren Zeitraum Bruhns gegenüber als Freund ausgab, obwohl er von Anfang an vorhatte, ihn umzubringen. Das würde auch erklären, warum die Überwachungsbänder verschwunden sind. Der Täter muss sich im Haus ausgekannt haben, denn das Aufzeichnungsgerät war relativ gut versteckt.«

»Alles gut und schön«, warf Santos ein, »aber Bruhns hatte doch ganz offensichtlich vor, mit dieser Kerstin eine Nummer zu schieben, und da lässt man doch nicht mal den besten Freund mitten in der Nacht ins Haus.« »Wer sagt uns denn, dass Bruhns die Kleine mitgebracht hat? Vielleicht war es ja auch unser großer Unbekannter. Hier sind noch viel zu viele Fragen offen, als dass man eine Richtung erkennen könnte. Ich will wissen, wann Bruhns gestern Abend Hamburg verlassen hat, wann er in Kiel beziehungsweise in Schönberg angekommen ist, ich will wissen, ob die junge Frau mit ihm kam oder ob er Besuch erwartet hat, von einer oder mehreren Personen. Ich will über jede Sekunde Bescheid wissen, die er von gestern Abend bis zu seinem Tod verbracht hat. Dann will ich wissen, was für ein Mensch Bruhns gewesen ist, wer seine Feinde waren, seine Freunde, seine Mitarbeiter und so weiter und so fort. Ich will alles, alles, alles wissen. Nur so kommen wir dem Täter auf die Spur.« »Oder der Täterin«, sagte Santos. »Seine Frau ist ja ganz nett, aber du weißt so gut wie ich, was Hass bei Frauen bewirken kann. Oder hast du sie von deiner Liste schon gestrichen? Sie ist bildhübsch, attraktiv ...« »Lisa, red nicht so einen Quatsch! Aber wenn sie tatsächlich die halbe Nacht mit ihrer Schwester telefoniert hat, kann sie's ja wohl schlecht gewesen sein. Es sei denn, sie hat jemanden angeheuert, ihren Mann um die Ecke zu bringen.« Er dachte einen Moment nach. »Was ich aber nicht glaube. Hast du dir die Frau mal genau angeschaut? Die wäre meines Erachtens nicht fähig, ihren Mann von einem Auftragskiller beseitigen zu lassen, auch wenn sie ihn noch so sehr hasst. Außerdem würde sie ihre Tochter niemals im Stich lassen. Hast du gesehen, wie sie mit ihr umgegangen ist? Mit Zähnen und Klauen würde sie die verteidigen. Diese Frau ist eine Kämpferin, aber ganz sicher keine Mörderin. Dass sie nicht die trauernde Witwe rausgehängt hat, spricht ebenfalls für sie. Sie war offen und ehrlich uns gegenüber, was ihre schwierige Beziehung zu ihrem Mann angeht. Ich müsste mich schon schwer täuschen, wenn sie doch etwas mit seinem Tod zu tun haben sollte. Ist aber nur ein Bauchgefühl.« »Also gut, lassen wir das jetzt erst mal so stehen«, sagte Harms. »Die Fotos liegen drüben auf meinem Tisch. Was immer ihr noch vorhabt, ich fahre nach Hause und bereite mich mental auf morgen vor, das heißt, ich erstelle einen Schlachtplan. Solltet ihr neue Informationen reinkriegen, ich bin rund um die Uhr erreichbar, allerdings nur auf dem Handy.«

»Bis dann«, murmelte Henning und sah Harms gedankenverloren nach.

»Was geht in deinem Kopf vor?« Santos hatte sich neben Henning gestellt. »Was bereitet dir mehr Sorgen, der Fall oder Rüter?«

»Sorgen bereitet mir gar nichts, ich denke nur nach.

Komm, werfen wir einen Blick auf die Fotos, und dann versuchen wir herauszufinden, wann Bruhns gestern den Sender verlassen hat. Als Nächstes nehmen wir uns die Liste unserer potenziellen Verdächtigen vor. Oder hast du für heute Abend etwas anderes geplant?« Sie gingen in Harms' Büro, nahmen den Stapel Fotos und breiteten sie auf dem Tisch aus. Eine Weile schwiegen sie, bis Santos sagte: »Das bringt uns nicht weiter. Ich ruf in Düsseldorf an.«

Sie suchte die Nummer heraus und griff zum Hörer. Nach zwei Minuten legte sie auf: »Die kümmern sich drum, melden sich nachher aber noch mal. Ich müsste dringend was essen, bevor wir weitermachen.« »Sicher«, murmelte Henning, der die Fotos wieder zu einem Stapel zusammengeschoben hatte. Sie blieben noch eine halbe Stunde und wollten bereits das Büro verlassen, als das Telefon klingelte. Auf dem Display war keine Nummer zu erkennen. »Henning, Kl.«

»Sie bearbeiten den Fall Bruhns?«, fragte eine männliche Stimme.

»Sind Sie von der Presse?«

»Nein, aber es geht um Bruhns. Sein Mörder ist in Bruhns' Umfeld zu finden.« »Und der Name?«

»Mehr Informationen bekommen Sie nicht von mir.« »Wenn Sie ihn kennen, müssen Sie doch auch einen Namen für mich haben. Oder ist das nur Wichtigtuerei? Vielleicht sind Sie nur ein kleiner, mieser Trittbrettfahrer, der unsere Arbeit behindern will?« Der Anrufer räusperte sich und ließ einen Moment verstreichen, bevor er antwortete: »Weder noch. Alles, was Sie suchen, finden Sie in Bruhns' Umgebung.«

»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, blaffte ein äußerst gereizter Henning den Anrufer an. »Mein Name tut nichts zur Sache. Forschen Sie doch mal nach, was in den letzten Monaten bei Bruhns so vorgefallen ist. Viel Glück. Und einen schönen Gruß an Ihre bezaubernde Kollegin.« »Warten Sie ...«

Zu mehr kam Henning nicht, der Anrufer hatte bereits aufgelegt.

»War das etwa wieder ...?« Santos warf einen fragenden Blick auf den nachdenklich wirkenden Henning. Henning nickte. »Da hat eben jemand behauptet, jemand aus Bruhns' Umfeld habe ihn umgelegt. Wir sollen uns mal in Bruhns' Umgebung schlaumachen. Ich schätze, da will uns einer auf den Arm nehmen.« »Meinst du nicht, dass da etwas dran sein könnte?« »Woher soll ich das wissen?«, fuhr Henning seine Kollegin schärfer an als gewollt und warf ihr gleich darauf einen entschuldigenden Blick zu. »Tut mir leid. Ich bin eben immer misstrauisch, wenn jemand anonym vage Behauptungen in den Raum stellt. Vielleicht war's ja derselbe Anrufer wie vorhin bei dir. Ich soll dir jedenfalls einen schönen Gruß ausrichten.«

»Dann war er's wohl. Wieso hast du nicht auf laut gestellt?«

»Sorry, daran habe ich gar nicht gedacht.« »Schon gut. Bruhns' Umfeld, du meine Güte, wie groß ist das? Das können Angehörige, Verwandte, Freunde, Bekannte, Mitarbeiter, das können Tausende sein. Wir fragen im Sender nach ...«

»Das machen nicht wir, das sollen mal schön unsere Hamburger Kollegen übernehmen. Wir konzentrieren uns auf Kiel und Umgebung, das wird schon schwierig genug.«

»Komm, lass uns was essen, ich kann sonst nicht mehr klar denken«, sagte Santos. »Außerdem will ich gleich mal bei meinen Eltern anrufen, die denken sonst noch, ich bin verschüttgegangen.«

»Weißt du was?«, sagte Henning, fasste Santos bei den Schultern und sah ihr tief in die Augen. »Wir machen Feierabend. Morgen teilen wir die Teams ein, jeder bekommt seine Aufgaben zugewiesen und so weiter und so fort. Wir beide können heute sowieso nichts mehr ausrichten. Im großen Team wird's leichter sein.« Santos atmete auf. »Danke, dass du meine Gedanken erraten hast. Ich dachte schon, du wolltest wieder die ganze Nacht durcharbeiten.«

»Es gibt auch noch ein Privatleben. Gehen wir.« Sie waren zu Hause angekommen und betraten die Wohnung, als Santos' Handy klingelte. »Santos.« »Koslowski, Kripo Düsseldorf, wir haben vorhin telefoniert. Es geht um diese Kerstin Steinbauer. Die junge Frau hat keine Angehörigen, sie ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und lebte seit gut einem Jahr allein in einem luxuriösen Apartment in einem unserer besten Viertel. Alles darin ist vom Feinsten - so haben es die Kollegen berichtet. Wir werden versuchen herauszufinden, woher sie das viele Geld hatte. Außerdem werden wir ihren Freundes- und Bekanntenkreis unter die Lupe nehmen, vorausgesetzt, sie hatte überhaupt einen. Es könnte ja auch sein, dass sie ihr Geld mit Prostitution gemacht hat, was aber auch relativ leicht rauszufinden sein dürfte. Genaueres erfahrt ihr noch. Das wollte ich nur schnell durchgeben.« »Danke. Wird ihre Wohnung schon untersucht?« »Die Spusi ist schon dort, ich fahr auch gleich mal mit meinem Kollegen hin. Ich melde mich auf jeden Fall, sollten wir etwas Fallrelevantes finden.«

»Das wäre nett. Danke für die Kooperation.«

»Ist doch selbstverständlich. Schönen Abend noch und tschüs.«

»Tschüs.«

Santos steckte ihr Handy in die Tasche und erzählte Henning, was sie erfahren hatte. »Jetzt frag ich mich nur, wie kommt ein solches Mädchen an so viel Geld, und wie hat sie Bruhns kennengelernt? Oder umgekehrt, wie kommt Bruhns an ein solches Mädchen?« »Vielleicht ist sie auf den Strich gegangen.« »Falls sie 'ne Edelnutte war, könnte sie natürlich so an Bruhns geraten sein. Andererseits, glaubst du, der war der Typ für Nutten? Der wollte seinen Spaß umsonst und hat ihn auch gekriegt. Außerdem, wie eine Professionelle sah die Kleine nun wirklich nicht aus.« »Wie sieht denn eine Professionelle aus? In Zeiten der Weltwirtschaftskrise macht Mann und Frau doch alles für Geld - auch die Beine breit, wenn's sein muss. Als Waise lernst du früher als andere die Spielregeln des Lebens. Vielleicht war sie einfach nur clever. Eine Nacht mit Bruhns hätte ihr womöglich zwei- oder dreitausend Euro gebracht. Oder auch mehr. Dafür muss meine Oma lange stricken.«

»Du hast gar keine Oma mehr, Sören. Ich glaube außerdem nicht, dass Kerstin eine Hure war.« »Und wenn doch?«, fragte Henning, während er sich die Hände wusch.

»Ich glaub's einfach nicht. Aber falls du recht haben solltest, wovon ich nicht ausgehe, wird sie außer mit Bruhns auch noch mit anderen Promis oder solchen, die sich dafür halten, in die Kiste gesprungen sein. Warten wir ab, was die Kollegen aus Düsseldorf herausfinden. Einverstanden?«

 

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